Der neue Beihilferahmen muss sicherstellen, dass die umfassende Dekarbonisierung des Luftverkehrs so zügig wie möglich erfolgt, ohne zu Wettbewerbsnachteilen für die europäische Luftverkehrswirtschaft und Belastung für deren Beschäftigte zu führen. Allein aufgrund der zu erwartenden hohen Zusatzkosten, die sich aus der Realisierung des EU Fit for 55-Pakets ergeben können, wird sich die Umstellung auf CO2-arme Technologien nicht ohne begleitende ökonomische Anreize realisieren lassen. Dies gilt erst recht, wenn man über die dort enthaltenen Vorgaben hinaus eine möglichst vollständige Dekarbonisierung des Luftverkehrs bis spätestens 2050 anstrebt und alternative Kraftstoffe auch über die im Fit for 55-Vorschlag für die Verordnung ReFuelEU Aviation gem. Art. 4 Abs. 1 i.V.m. Annex I vorgesehenen Mindestmengen eingesetzt werden soll. Der möglichst zügige Umstieg auf alternative Kraftstoffe im Luftverkehr ist nicht nur zur Vermeidung von CO2 und weiteren Treibhausgasen erforderlich. Vielmehr wird der Einsatz dieser reineren synthetischen Kraftstoffe nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft voraussichtlich auch die darüberhinausgehenden negativen Effekte des Luftverkehrs auf das Klima (non-CO2-Effekte, z.B. die Bildung von Kondensstreifen) signifikant verringern. Im weiteren Verlauf dieses Textes fokussieren wir uns auf die Dekarbonisierung, meinen damit aber ausdrücklich die Reduktion aller schädlichen Treibhausgase und Effekte.
Forderungen:
- Klarstellung, dass neben Kraftstoffen aus biogenen Ressourcen auch für die Herstellung und den Einsatz von synthetischen Kraftstoffen im Luftverkehr aus nicht-biogenen Ressourcen staatliche Beihilfen für Klima-, Umweltschutz und Energie gewährt werden können, wie sie nun selbst von der EU im Vorschlag zur ReFuelEU Aviation vorgesehen sind. Es sollte zudem kein Ausschlusskriterium sein, ob Technologien bereits in den Katalog nach Artikel 3 der Taxonomie-Verordnung (EU) 2020/852 aufgenommen sind.
- Klarstellung, dass solche Beihilfen sich ausdrücklich nicht nur auf klimaschutzinduzierte Mehrkosten bei Investitionen (CAPEX) beziehen können, sondern auch für die zur Herstellung von synthetischen Kraftstoffen anfallende Betriebskosten (OPEX). Ein zentraler Eingangsstoff für (nahezu) CO2-neutrale synthetische Kraftstoffe ist Wasserstoff, für dessen Elektrolyse Strom von erneuerbaren Energien genutzt werden muss. Aktuell ist der grüne Wasserstoff einer der größten Kostenfaktoren für die Herstellung von synthetischen Kraftstoffen. Auch das Erschließen ausreichend reiner CO2 Quellen und – je nach Technologie – weiterer Feedstocks führt dazu, dass die laufenden Herstellungskosten einen maßgeblichen Faktor darstellen, der je nach Betriebsdauer die Investitionskosten übersteigt. Die Gesamtkosten für synthetische Kraftstoffe liegen aktuell um ein Vielfaches höher als für fossiles Kerosin. Hier werden auf absehbare Zeit trotz der europäischen und nationalen Anstrengungen zur Schaffung einer Wasserstoffwirtschaft weiter große Unwägbarkeiten bestehen, wie schnell und zu welchen Kosten die erforderlichen Mengen an grünem Wasserstoff verfügbar sein werden. Diese Unwägbarkeiten hemmen den Markthochlauf. Außerdem können die „Mehrkosten“ im beihilferechtlichen Sinn oft nur mit Unsicherheiten abgeschätzt werden. Sie schwanken zudem je nach Ausgestaltung des Energierechts von Mitgliedsstaat zu Mitgliedsstaat. Es müssen zur Erreichung der Klimaschutzziele aber dringend erste Anlagen in den Betrieb gehen und über längere Zeit betrieben werden, um Technologien weiter zu optimieren und Erfahrungen in Pilotanlagen und im Industriemaßstab zu sammeln, wie möglichst umfassende und zügige Kostensenkungen realisierbar sein werden. Für Airlines wiederum ist der eingesetzte Flugkraftstoff einer der größten Kostenfaktoren überhaupt. Sowohl die Hersteller von Kraftstoffen als auch die Airlines brauchen trotz der verbleibenden Unwägbarkeiten Investitions- und Planungssicherheit auf dem Weg der Dekarbonisierung. Hier muss die EU im Interesse der Umsetzbarkeit ihrer eigenen Zielsetzungen beim Klimaschutz einerseits und der Sicherung des europäischen Luftverkehrs andererseits eine Kongruenz schaffen, wie das Beihilferecht diesen massiven zusätzlichen Kostenfaktoren unter hohem Zeitdruck gerecht wird. Auch die Mehrkosten beim Nutzer müssen durch OPEX-Fördermaßnahmen oder Instrumente wie Carbon Contracts of Difference gefördert werden können, um rasche Emissionseinsparungen in der Luftfahrt zu realisieren.
- Das Instrument der Förderung von „Contracts for Difference“ sollte ausdrücklich – auch mit Blick auf den interkontinentalen Luftverkehr – im Beihilferahmen ausgestaltet werden, damit für alle Beteiligten Transparenz besteht, welche Regeln zu beachten sind. Auch hier gilt, dass es zügige, praktikable und ohne unverhältnismäßigen Aufwand für die Mitgliedsstaaten und Unternehmen realisierbare Genehmigungsverfahren für solche Beihilfen braucht, wenn die Dekarbonisierung rechtzeitig umgesetzt sein soll.
- Förderinstrumente müssen zügig, innerhalb weniger Wochen genehmigungsfähig sein, mit überschaubarem bürokratischem Aufwand für die partizipierenden Unternehmen. Daher müssen den Mitgliedsstaaten und der EU-Kommission Handlungsmöglichkeiten für vereinfachte Prüfverfahren der beihilfefähigen Mehrkosten eingeräumt werden, in dem sie z.B. beim Nachweis bestimmte pauschalierte Kostenbeiträge akzeptiert, solange diese objektiv und nicht wettbewerbsverzerrend hergeleitet werden. Dabei muss bei Förderinstrumenten die Möglichkeit bestehen, jeweils 100% der zusätzlichen Kosten zu adressieren, die durch das intendierte umweltgerechtere Verhalten eines Unternehmens entstehen, unabhängig davon, welcher Prozess in der Kette gerade adressiert wird und unabhängig davon, ob es um Investitionen oder laufende Kosten geht. Das kann – je nach Kostenentwicklung für die Herstellung von synthetischen Kraftstoffen – bedeuten, dass die bisherige Genehmigungspraxis zu Beihilfeintensität bzw. Mehrkosten nicht ausreicht, um EU-Klimaschutz ohne Schwächung des europäischen Luftverkehrs sicherzustellen.
- Flexible Instrumente ermöglichen: Die technischen, ökonomischen und rechtlichen Rahmenbedingungen für synthetische Kraftstoffe (biogen und RFNBO) werden auch ab 2022 allenfalls in Teilen verlässlich abschätzbar sein. Allein die Planung und der Bau von Anlagen inkl. der erforderlichen Energieerzeugung brauchen mehrere Jahre, sei es innerhalb der EU oder außerhalb. Es werden in großem Umfang private Investitionen erforderlich sein, für die zunächst Investitionssicherheit benötigt wird. Gleichwohl soll die Transformation der gesamten Branche innerhalb weniger Jahrzehnte abgeschlossen werden. Daher wird es neben typischen staatlichen Förderinstrumenten wie Förderprogrammen für Investitionen oder Zuschüsse für den Betrieb von Erzeugungsanlagen auch Innovationen bei der Instrumentierung für staatliche Anreize oder Risikoabsicherungen brauchen. Auch hier muss bei der Ausgestaltung des Beihilferahmens mehr Flexibilität bei der Genehmigung von Beihilfen eingeräumt werden, wenn die EU ihre eigenen Klimaschutzziele realisieren will. Auch die Kopplung von Instrumenten bzw. von nationalen und europäischen Anreizprogrammen muss möglichst flexibel und einfach ermöglicht werden.
Im Beihilferahmen zu beachtende besondere Rahmenbedingungen für die europäische Luftverkehrswirtschaft und die Hersteller und Zulieferer von Kraftstoffen für den Luftverkehr:
Die Unternehmen aus der Luftfahrtindustrie und der Luftverkehrswirtschaft stehen vor einer doppelten Herausforderung. Die internationale und europäische Passagier-Luftfahrt gehört zu den Branchen, die am schwersten von der COVID-19-Pandemie betroffen sind. In den nächsten 30 Jahren wird also nicht nur die kostenintensive Dekarbonisierung umzusetzen sein, sondern parallel muss zunächst der Erholungsprozess aus der Pandemie-Krise bewältigt werden. Häufig werden solche Programme besonders vielversprechend sein, die sowohl zur Bewältigung negativer Folgen der Pandemiekrise als auch zum Erreichen von Klima- oder Umweltschutzzielen beitragen. Diese Situation muss der europäische Beihilferahmen im Blick haben, wenn Höchstgrenzen für Beihilfeintensitäten gesetzt werden.
Eine weitere Besonderheit, warum bei der Ausgestaltung des Beihilferahmens die spezifischen Rahmenbedingungen des Luftverkehrs zu beachten sind, betrifft den Luftverkehr außerhalb der EU. Der größte Teil der weltweiten klimaschädlichen Emissionen im Luftverkehr resultiert aus Mittel- und Langstreckenflügen. Eine Alternative zu nachhaltigen Flugkraftstoffen ist für dieses Streckensegment aus heutiger Sicht nicht absehbar Der Mittel- und Langstreckenverkehr der EU wird ganz wesentlich über Drehkreuze organisiert, die zum Umstieg bzw. zur Umladung von innereuropäischen Zubringerflügen in Interkontinentaldestinationen genutzt werden. Europäische Airlines und die zugehörigen Drehkreuze in der EU waren schon vor der Pandemie und der sich verschärfenden europäischen Regeln zum Klimaschutz einem harten Wettbewerb ausgesetzt. Sie konkurrieren mit Carriern aus Drittstaaten und deren Drehkreuzen außerhalb Europas, die verstärkt über Zubringerflüge aus der EU bedient werden. Dort sind aktuell keine auch nur annähernd vergleichbaren Verpflichtungen zur Bepreisung von CO2-Emissionen bzw. des kostenintensiven Einsatzes von alternativen Kraftstoffen absehbar. Die Umsetzung der Dekarbonisierung ist so kostenintensiv, dass sie höhere Ticket- und Tonnagepreise erfordern wird. Damit drohen europäische Airlines und Flughäfen nicht nur Marktanteile im internationalen Luftverkehr zu verlieren. Über internationale Abkommen hat die EU-Drittstaaten-Carriern umfassende Rechte eingeräumt, z.B. durch Zubringerflüge zu ihren Drehkreuzen am europäischen Luftverkehrsmarkt zu partizipieren. Ohne ökonomische Anreize und Schutzmechanismen würde es zu Carbon Leakage Prozessen durch Umverlagerung von Umsteige- und Umladeverkehren auf Drehkreuze außerhalb der EU kommen, ohne dass hierbei gleichwertige Emissionsbegrenzungen eingehalten würden.
Über aireg e.V:
aireg – Aviation Initiative for Renewable Energy in Germany e.V. wurde 2011 als Verbund von Unternehmen und Organisationen aus Industrie, Forschung und Wissenschaft gegründet. Als gemeinnützige Initiative setzt sich aireg für die Verfügbarkeit und Verwendung von erneuerbaren Energien in der Luftfahrt ein, um die ehrgeizigen CO₂-Minderungsziele der Luftverkehrswirtschaft zu erreichen. Die Mitglieder kommen aus allen Bereichen der Wertschöpfungskette regenerativer Energien für die Luftfahrt: Dies reicht von der Forschung an Universitäten und Großforschungseinrichtungen, Anlagenherstellern und Anlagenbetreibern, Bioraffinerien, der Mineralölwirtschaft, Antriebs- und Flugzeugherstellern, Regierungsorganisationen, Nichtregierungsorganisationen und Flughäfen bis zu Fluggesellschaften. Die industriellen Mitglieder decken international die Bandbreite vom Start-up bis zu Großkonzernen ab.
Kontakt: Melanie Form Mitglied des Vorstands // Leiterin der Geschäftsstelle E-Mail: melanie.form@aireg.de Tel.: +49 (0) 178 184 30 31